ostkarten

Ich lasse mir in Shanghai von der Rezeptionistin aufschreiben, dass ich einen Nachtzug nach Hong Kong buchen möchte. Ihre Blicke sagen mir: den kriegst du NIE. Denn draußen tobt die goldene Woche, ganz China hat frei und reist umher und ist dabei vorausschauender als ich. 20 Minuten später werde ich ihr dennoch meine Fahrkarte in einem Anflug von Rechthaberei präsentieren können, der Dumme hat halt das Glück.

Multikulti im Betondschungel

Wirtschaftlich prosperierend, geographisch aber von allen Seiten eingepfercht, treibt Hong Kong kontinuierlich in die Höhe. Die Skyline hat sich hier anders als in Shanghai (oder meinetwegen in Dubai) nicht aus Angeberei, sondern aus schierer Notwendigkeit heraus über die Jahrzehnte entwickelt, wirkt dadurch homogener, natürlicher und untertags weniger spektakulär, da sie in einem Schleier aus Dunst und Abgasen eingetaucht bleibt. Der Wohnquadratmeter ist das höchste Gut hier, dessen Preis durch den steten Zustrom reicher Festlandchinesen weiter hochgetrieben wird. Ich steige in einer Besenkammer in den Chungking Mansions ab, einem schäbigen Monolithen im Stadtzentrum, bis ins 17. Stockwerk vollgepfercht mit Bettenbatterien und zu Spitzenzeiten kilometerweiten Warteschlangen bei den wenigen Aufzügen. Hier wohnt jeder. Im Erdgeschoss tummeln sich Verkäufer vom indischen Subkontinent, sie wollen dich mit Currys und SIM-Karten versorgen und beim Geldwechseln übers Ohr hauen.

Ein kultureller Schmelztiegel an eng aneinander gereihten Wohnsilos, die sich an steilen, grünen Hügeln in die Höhe ranken. An einer fast endlosen Kette von Rolltreppen kann man die Hügel erklimmen und den Riesen so auf Augenhöhe begegnen. Und in der Nacht gärt alles in einer Suppe aus Lichtverschmutzung und etwas unmotivierter Lasershow vor sich hin. Das ist die eine Seite von Hong Kong.

Die grüne Antithese

Ich steige in einen britischen Stockbus und lasse mich Richtung Osten rausfahren, Dort, am Zipfel der Insel, stoße ich auf Strände, sanfte Klippen und thailändische Bistros. Ich nehme den Bus zurück und lasse mich vorzeitig abwerfen: Entlang der grünen Hügel wurden leicht übersehbare, von allen Seiten grün überwucherte Wanderwege installiert. Durch enge Pfade und Brücken mit den Wolkenkratzern verbunden, können die Bewohner so recht rasch in einen Minidschungel entfliehen. Ich fahre auf die Rückseite der so dicht besiedelten Hong Kong Insel. Dort sind die Erhebungen bereits zu steil zum dichten Bebauen, es dominieren einzelne Hotelbunker, Strandpromenaden mit angelegtem Gesundheitspfad, Märkte und Fischkutter, die auf Ausflugsgäste warten, die sich den tornado shelter ansehen möchten. Spontan nehme ich eine Fähre, es ist eigentlich schon zu spät, zu einer der kleineren, vorgelagerten Eilande, wo es neben ein paar Fischrestaurants und Aussichtspunkten nicht viel mehr gibt als das Grün einer tropischen Insel und die Anlegestellen der Kutter. Tags darauf setze ich meine Exploration nördlich des Zentrums fort: Entlang einer ruhigen Bucht reihen sich dicht an dicht Fischrestaurants, die Auslagen voller Aquarien mit exotischem Getier.

Was Hong Kong so fantastisch macht, ist diese irre Vielfalt an Möglichkeiten auf so wenig Raum gekoppelt mit einer hervorragenden Infrastruktur: Alles ist leicht erreichbar, jeder versteht Englisch, es gibt Lokale und Läden für jeden Geschmack, sogar ein Disneyland und einen riesigen Buddha irgendwo auf einer der anderen Inseln, den man mit einer langen Fahrt in der Seilbahn erreichen kann, was sich bei mir zeitlich nicht mehr ausging. Es gab einfach zu viel zu tun.